Vielfalt in Organisationen besser verstehen
Diversität umfasst viele Dimensionen. Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Religion sowie körperliche und geistige Fähigkeiten. In all diesen Bereichen existieren gesellschaftlich bevorzugte Gruppen: Männer gegenüber Frauen und diversen Personen, nicht-behinderte Menschen gegenüber Menschen mit Behinderung, Mehrheiten gegenüber Minderheiten, Heterosexuelle gegenüber queeren Personen – und so weiter. Diese systematische Bevorzugung erzeugt Machtungleichgewichte und sorgt dafür, dass das „Normale“ meist den privilegierten Gruppen entspricht.
Auch wenn diese Kategorien sozial konstruiert sind, werden sie durch gesellschaftliche und organisationale Strukturen ständig reproduziert. Ohne ein bewusstes Hinterfragen dieser Machtverhältnisse bleibt strukturelle Ungleichheit bestehen und das oft unsichtbar, aber dennoch wirksam. Für Fachpersonen im Bereich Diversität ist das eine besondere Herausforderung: Sie sind zwar häufig Impulsgeber:innen für Veränderung, verfügen aber nicht immer über die nötige Entscheidungsmacht. Ihr Einfluss hängt stark von ihrer Position, ihren Ressourcen und vom Rückhalt innerhalb der Organisation ab. Damit echte Veränderung gelingen kann, braucht es vor allem Unterstützung durch die oberste Führung und durch jene Führungskräfte, die zentrale Personalentscheidungen treffen.
Widerstand gegen Diversität – eine Realität in Organisationen

Auch bei sorgfältiger Planung und guten Absichten ist Widerstand gegen Diversität in Unternehmen keine Seltenheit. Er kann sich sowohl gegen die Präsenz bestimmter Personen richten als auch gegen konkrete Diversity-Maßnahmen. Manchmal ist der Widerstand offen – etwa durch direkte Ablehnung. Häufiger tritt er jedoch subtil auf: durch Ignoranz, durch passives Verhalten oder durch unbewusste Barrieren auf individueller und organisationaler Ebene. Führungskräfte müssen auf solche Dynamiken vorbereitet sein und Wege finden, um damit konstruktiv umzugehen. Nur so kann das Potenzial von Vielfalt wirklich genutzt werden. Doch wie erkennt man Widerstand überhaupt?
Offene Formen sind meist leicht erkennbar und lassen sich durch klare Regeln und Trainings zu Antidiskriminierung oder inklusiver Führung ansprechen. Schwieriger wird es bei den versteckten Mustern: Etwa wenn Diskriminierung schweigend hingenommen wird, wenn bestimmte Kolleg:innen sozial ausgegrenzt werden oder wenn Mentoring insbesondere männlichen Gruppenmitgliedern zugutekommt. Ein Beispiel: Männliche Führungskräfte vermeiden häufig das Mentoring von Frauen und diversen Personen. Dies geschieht aus Angst vor Missverständnissen oder weil sie deren Karriereziele als unsicher einschätzen. Solche Annahmen behindern gezielt die berufliche Entwicklung von Frauen, gerade in männerdominierten Branchen. Studien belegen: Männer haben deutlich häufiger Zugang zu hochrangigen Mentor:innen – was ihnen bessere Karrierechancen eröffnet. Deshalb sollte der strukturelle Widerstand nicht unterschätzt werden.
Intersektionalität: Wer wird übersehen?
Die Forscherin Ludmila N. Praslova weist darauf hin, dass viele Organisationen Inklusion „Schritt für Schritt“ denken: erst das Geschlecht, dann Ethnie, dann sexuelle Orientierung. Doch Menschen vereinen oft mehrere Merkmale. Was ist mit einer älteren, schwarzen Person mit Behinderung? Oder mit einer indigenen, autistischen Person? Wenn Vielfalt eindimensional behandelt wird, fallen viele durchs Raster.

Ein intersektionaler Ansatz berücksichtigt, dass Diskriminierung nicht additiv, sondern verflochten wirkt und dort besonders hart zuschlägt, wo sich mehrere Benachteiligungen überlagern. Praslova plädiert deshalb dafür, äußere Erwartungen wie „professionelles Auftreten“ zu hinterfragen und stärker auf tatsächliche Leistung zu achten. Wenn eine autistische Kollegin mit einer brillanten E-Mail-Kampagne Verkaufsziele übertrifft, sollte sie nicht schlechter bewertet werden, nur weil sie keine Telefonate geführt hat. Auch Führungskräfte, die auf digitale, asynchrone Tools setzen, erzielen oft bessere Ergebnisse als mit klassischen Meetings. Leistungsbeurteilungen sollten sich deshalb an objektiven Ergebnissen orientieren, nicht an vagen Vorstellungen von „Passung“ oder „Potenzial“, die oft durch Biases verzerrt sind.
Wenn Vorurteile unsichtbar bleiben
Unbewusste Denkmuster, sogenannte „Unconscious Bias“, beeinflussen wie wir andere Menschen wahrnehmen und behandeln. Diese Vorurteile entstehen durch unsere Sozialisation und treten besonders dann auf, wenn Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden müssen. Reflexion ist der erste Schritt zur Veränderung: Wer die eigenen Vorurteile erkennt, kann Diskriminierung im Alltag bewusster wahrnehmen und aktiv gegensteuern. Das gilt für Führungskräfte ebenso wie für Kolleg:innen. Eine inklusive Unternehmenskultur beginnt mit ehrlicher Selbstreflexion und dem Mut, die eigenen blinden Flecken anzuerkennen.

Ein besonders weit verbreiteter Fall von unbewussten Vorurteilen ist der Gender Bias – also die Bevorzugung eines Geschlechts, meist von Männern gegenüber Frauen oder diversen Personen. Frauen werden seltener als kompetent wahrgenommen, ihre Leistungen werden übersehen oder abgewertet, während Männern automatisch mehr Kompetenz zugetraut wird. Derartige Einstellungen wirken sich auch auf unternehmerische Entscheidungen aus und stehen der Gleichstellung sowie fairen Chancen im Berufsleben entgegen.
„Chefsache“-Checkliste: Was Organisationen konkret tun können
- Strukturen analysieren: Bestehende Prozesse (z. B. Rekrutierung, Beförderung, Leistungsbeurteilung) auf mögliche Benachteiligungen oder Bevorzugungen bestimmter Gruppen prüfen.
- Normen sichtbar machen: Reflektieren, wer im Unternehmen als „Normalfall“ gilt und welche Gruppen dadurch übersehen oder ausgeschlossen werden.
- Kultur aktiv gestalten: Vielfalt nicht nur feiern, sondern gezielt eine inklusive Unternehmenskultur fördern, in der Unterschiede geschätzt und gefördert werden.
- Intersektional denken: Diskriminierungsformen wie Geschlecht, Herkunft oder Behinderung zusammendenken statt sie isoliert zu behandeln.
- Unconscious Bias angehen: Schulungen zu unbewussten Vorurteilen anbieten und gleichzeitig strukturelle Maßnahmen wie standardisierte Auswahlverfahren einführen.
- Inklusive Führung stärken: Führungskräfte auf allen Ebenen für Diversität sensibilisieren und ihnen Werkzeuge für inklusive Teamführung bereitstellen.
- Betroffene einbinden: Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen aktiv in die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen einbeziehen – nicht nur für, sondern mit ihnen gestalten.
Diversität braucht Strategie
Diversität ist kein kurzfristiges Projekt und keine nette Zusatzmaßnahme. Es ist ein langfristiger strategischer Prozess, der die gesamte Organisation betrifft. Damit eine Diversity-Strategie Wirkung zeigt, braucht es dieselben Standards wie bei jeder anderen Unternehmensstrategie: klare Ziele, ausreichende Ressourcen, Einbindung aller Ebenen und eine offene Unternehmenskultur.

Wichtig ist auch die Frage nach dem „Warum“: Warum setzen wir auf Diversität? Welche Vision verfolgen wir damit? Je nachdem, wo eine Organisation steht, braucht es unterschiedliche Investitionen in Zeit, in Budget und in personelle Ressourcen. Statt wahllos Maßnahmen zu ergreifen, sollten Unternehmen klare Prioritäten setzen. Diversität ins Unternehmen zu bringen ist der erste Schritt. Sie nachhaltig zu verankern verlangt Klarheit, gute Führung und strategisches Denken.
Quellenverzeichnis
- Buetow, S. (2019). Apophenia, unconscious bias, and reflexivity in nursing qualitative research. International Journal of Nursing Studies, 89, 8–13.
- Como, D. H., Floríndez, L. I., Tran, C. F., Cermak, S. A., & Stein Duker, L. I. (2019). Examining unconscious bias embedded in provider language. Nursing & Health Sciences, 22, 197–204.
- Fitzgerald, C., & Hurst, S. (2017). Implicit bias in healthcare professionals: A systematic review. BMC Medical Ethics, 18(19).
- Mensi-Klarbach, H., & Risberg, A. (Hrsg.). (2019). Diversity in Organizations: Concepts and Practices.Bloomsbury Publishing.
- Praslova, L. N. (2023). An Intersectional Approach to Inclusion at Work.
- Unconscious Bias Checkliste: www.chefsache.de
- Bilder: Canva